T-Mobile: Wer seine Kunden liebt, schenkt ihnen Freiheit

Graffiti mit Statements des Unternehmens

T-Mobile hat in den letzten Jahren vorgelebt, wie Kundenvorteile zu Unternehmensvorteilen werden. Versetzen wir uns zurück ins Jahr 2012: Damals schien der sicherste Weg, einen Mobilfunk-Vertrag loszuwerden, über den Friedhof zu führen. Die Gebühren, die bei der frühzeitigen Beendigung von Verträgen anfielen, konnten gut und gerne auf 350 US-Dollar klettern. Auf Partys war es in diesen Zeiten wahrscheinlicher, Gemurre über einen Mobilfunkanbieter aufgetischt zu bekommen als nette Anekdoten. Die Branche war, in den Worten eines Insiders, „dumm, kaputt und arrogant“.

Der Insider, von dem die Rede ist, ist John Legere, der impulsive CEO von T-Mobile. Weit davon entfernt, ein Blatt vor den Mund zu nehmen, spricht er nicht nur ungeniert Klartext, sondern ist auch ein Spezialist dafür, die Konkurrenz in Zugzwang zu bringen. Der oben genannte Spruch fiel 2013 bei einer Pressekonferenz, und er ging um die Welt. Nur wenige Monate zuvor hatte T-Mobile sich im Rahmen einer rebellischen Kampagne zum „Un-Carrier“, also zum „Anti-Netzanbieter“ gekrönt und mit den unpopulären vertraglichen Bindungen sowie mit den subventionierten Mobiltelefonen Schluss gemacht. Ein Paukenschlag, der die „dumme, kaputte und arrogante“ Branche gehörig auf den Kopf stellte und von dessen Nachhall Kunden in den folgenden Jahren profitierten.

Legere, jener Mann, der diese Veränderungen in die Wege leitete, war zum damaligen Zeitpunkt erst seit knapp einem Jahr bei T-Mobile. Er war entschlossen, eine Branche, die praktisch als Synonym für Kundenfrustration galt, gehörig aufzumischen. Im Gespräch mit Business Insider verrät Legere, dass er bei seinem Vorstellungsgespräch mit dem CEO der Deutschen Telekom, René Obermann, nicht lange fackelte. „Ich sagte ,Hallo’ und rückte dann direkt mit meiner Meinung heraus. Es gab für mich nur einen Weg, wie das Unternehmen in den USA scheitern konnte, nämlich indem sie genau dasselbe taten wie bisher: nichts.“

Zum damaligen Zeitpunkt war T-Mobile in den USA (neben Sprint, AT&T und Verizon) der kleinste der vier wichtigsten Mobilfunkanbieter, doch unter der Führung von Legere bewies das Unternehmen mit der Abschaffung der vertraglichen Bindung Mut und gab seinen Kunden die Möglichkeit, Verträge monatlich zu kündigen. Die Entscheidung fiel, nachdem man die Kunden nach ihren Wünschen gefragt und ihre Antwort ernst genommen hatte. Doch die Kunden waren nicht die einzigen, die davon profitierten. Dieses Jahr hat T-Mobile ein Programm mit dem Titel „KickBack“ gestartet, bei dem Kunden für ungenutztes Datenvolumen monatlich bis zu 10 US-Dollar gutgeschrieben werden. Ein solches Angebot wäre vor nur fünf Jahren noch undenkbar gewesen. Es ist der neueste Geniestreich eines Unternehmens, das seinem Namen als „Un-Carrier“ alle Ehre macht, indem es dem Kunden gibt, was er will, und im Vorübergehen die gesamte Branche umkrempelt.

Der Dominoeffekt

Der Dominoeffekt

Mit der Abkehr von der vertraglichen Bindung veränderten sich die Spielregeln des Telekommunikationssektors, so Jill Steinhour, Director of Industry Strategy, High Tech and Telecom bei Adobe. „T-Mobile weiß, wie man frischen Wind in die Branche bringt“, sagt sie. „Die anderen Unternehmen mussten ihre Vorgehensweise auf dem Markt grundlegend verändern.“

2015 überholte T-Mobile Sprint und wurde zum drittgrößten Mobilfunkanbieter in den USA. Im selben Jahr verabschiedete sich Verizon von der vertraglichen Bindung, gefolgt von Sprint und etwas später AT&T.

Doch während die Kunden von den Vorteilen der Bindungsfreiheit profitierten, wurden die Zukunftsperspektiven der Netzbetreiber durch eine neue Herausforderung getrübt: die Unvorhersehbarkeit des Kundenverhaltens.

„Sie haben den Überblick darüber verloren, wann die Kundenbasis den Reifegrad erreicht“, so Steinhour. „Früher war es einfach. Wenn das Vertragsende nahte, war der geeignete Zeitpunkt gekommen, den Kunden anzusprechen und ihm eine Vertragsverlängerung oder ein neues Mobiltelefon anzubieten. Dieser Schlüsselmoment ist kaum noch vorhanden.“

Und noch dazu gehören subventionierte Mobiltelefone der Vergangenheit an. Früher entfiel lediglich ein geringer Teil der Anschaffungskosten des Geräts auf den Kunden, den Restbetrag schoss der Netzbetreiber zu. Seit 2013 haben sich Mobilfunkanbieter, allen voran T-Mobile, von dieser Praxis abgewendet und trennen nun die Anschaffungskosten des Geräts von den monatlichen Leistungen. Der Kunde kommt heute in Raten selbst für das Gerät auf, eine weitere Veränderung für die Telekommunikationsunternehmen.

Ratenzahlungen für Mobiltelefone brachten Bonitätsprüfungen mit sich, die Kunden abschrecken und die Netzbetreiber vor Schwierigkeiten stellen. Tatsächlich stellten die Unternehmen fest, dass die Bonitätsprüfung jener Schritt war, an dem die Kunden den Kaufvorgang am häufigsten abbrachen. Seither greifen Mobilfunkanbieter zu Daten aus dritter Hand, die Einblicke in die Kreditwürdigkeit des Kunden gewähren und darauf schließen lassen, an welchen Mobiltelefon- und Leistungsangeboten er interessiert sein könnte, sagt Steinhour.

T-Mobile nutzte für die Erstellung detaillierter Zielgruppenprofile Adobe Audience Manager (AAM). Im Falle der Telekommunikationsbranche können solche Profile dazu beitragen, jene Lücken zu füllen, die die Veränderungen in diesem Sektor mit sich gebracht haben. Angenommen, der Mobilfunkanbieter möchte ermitteln, bei welchen Kunden in den nächsten 30 bis 90 Tagen eine Auslandsreise anstehen könnte, um ihnen internationale Gesprächsminuten anzubieten. Adobe Audience Manager verknüpft Daten aus erster, zweiter und dritter Hand, mit denen der Netzbetreiber dieses Segment identifizieren kann. Auf diese Weise können Mobilfunkanbieter Kunden gezielt mit internationalen Angeboten oder Produkten für Reisende ansprechen.

Mit dem Wegfall der vertraglichen Bindung und subventionierter Geräte trübte sich die Kristallkugel der vier Marktführer, sie hatten fortan Mühe, sich ein Bild ihrer zukünftigen Kunden zu machen. Zielgruppen-Tools bieten Unternehmen eine neue Möglichkeit, eine Verbindung zu zukünftigen Kunden herzustellen, indem sie ihre Bedürfnisse vorhersehen.

Der Nachhall

Seit Legere 2013 seine kontroverse Meinung äußerte und damit ein lautes Echo in der Branche hervorrief, hat T-Mobile sich Dutzende Male als „Un-Carrier“ präsentiert. Zusatzgebühren gehören der Vergangenheit an, unbegrenztes Musik- und Video-Streaming sind heute Standard, kürzlich folgte die KickBack-Kampagne. Die Branche zieht teilweise nach: Vertragsbindung und Wechselgebühren gehören der Vergangenheit an, Roaming ist günstiger geworden, und dem Kunden stehen nun Pakete offen, bei denen keine Zusatzgebühren anfallen.

Auf diesem Weg hat es T-Mobile zum am schnellsten wachsenden Mobilfunkanbieter der USA gebracht. Als Legere begann, zählte das Unternehmen 33 Millionen Kunden. Heute sind es mehr als doppelt so viele. 2016 war T-Mobile laut American Customer Satisfaction Index unter den vier großen Mobilfunkanbietern jener mit der höchsten Kundenzufriedenheit. Dieser Wert war im Vorjahresvergleich sogar um 6 % gestiegen.

Im besagten Interview aus dem Jahre 2016 warnte Legere Business Insider: „Wer seine Kunden fragt, was sie wollen und es ihnen gibt, sollte nicht schockiert sein, wenn sie es lieben.“ T-Mobile hat den Kunden in den Mittelpunkt gestellt, wendig agiert und darauf Wert gelegt, die eigenen Zielgruppen zu verstehen und anzusprechen. Das hat nicht nur das Unternehmen selbst, sondern die gesamte Branche weitergebracht. Eine Lektion auch für andere Wirtschaftszweige.