Was die teuersten Uhren der Welt über die Zukunft des Einzelhandels verraten
Wie sehr die aktuelle Situation selbst tiefgreifende Überzeugungen umkrempelt, das merkt man auch daran, dass selbst Unternehmen wie der Uhrenhersteller Patek Philippe ihre Produkte jetzt online verkaufen. Exklusivität ist das Markenzeichen einer der hochwertigsten Uhrenmarken der Welt, bis dato musste jeder Kunde persönlich vorstellig werden und durfte jeweils nur eine einzige Uhr erwerben – sofern sie oder er eine Kaufberechtigung vorweisen konnte.
Die absolute Kontrolle der Customer Experience geht bei Patek Philippe so weit, dass Erstkäufer nur aus der Riege der Einsteigermodelle wählen können. Doch wer bereit ist, mindestens 10.000 Euro für eine Uhr auszugeben, hat höhere Ansprüche als eine Tasse Kaffee zum Verkaufsgespräch serviert zu bekommen.
Mit seinem Ansatz zeigt Patek aber auch, wie Marken erfolgreich auf eine Direct-to-Consumer (DTC) Strategie setzen können, um die volle Kontrolle über den Verkaufsprozess zu behalten. Denn Einzelhändler haben meist mehrere Marken im Angebot. Pateks autorisierte Einzelhändler hingegen haben nur eine einzige Marke im Sortiment: Patek. Der Clou: Kunden kommen nicht einer, sondern DER Uhr wegen.
Zeiten ändern sich: die Zukunft des Einzelhandels
Die gegenwärtige Situation stellt dieses Konzept jedoch vor Herausforderungen. Patek setzt deshalb auf den Online Verkauf seiner Uhren – nicht ohne zu betonen, dass es sich hierbei um eine Ausnahmesituation handelt.
Obwohl es wenig wahrscheinlich ist, dass die Krise einen über Jahre hinweg kultivierten Exklusivitätsanspruch von Grund auf verändert: Zurückdrehen lässt sich die Zeit nicht. Längst ist der Einzelhandel nicht mehr die einzige Absatzmöglichkeit für Marken – und COVID-19 sorgt dafür, dass andere Kanäle am Filialgeschäft vorbeiziehen.
Denn wenn der Großteil der Menschen in den eigenen vier Wänden bleibt und die meisten Geschäfte geschlossen bleiben müssen, erledigen Konsumenten ihre Einkäufe online. Für viele Unternehmen ist das auch eine Chance, ihren Webshop zu modernisieren – oder überhaupt erst zu starten. Das Shoppingverhalten ändert sich jetzt grundlegend – vielleicht für immer.
Insbesondere für Einzelhändler gewinnt der Onlinehandel jetzt oberste Priorität. Doch wenn Kundenbeziehungen zunehmend digitalisiert werden, bedeutet das auch: Eine respektvolle, authentische Kundenansprache ist jetzt wichtiger denn je. Um Kundenbeziehungen zu pflegen und zu intensivieren, sind Relevanz und Mehrwert entscheidend.
Über die Filiale hinausgehen
Die Sport-Sonnenbrillenmarke SunGod hat eine sehr loyale Kundschaft. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Marke ein hochwertiges Produkt mit lebenslanger Garantie anbietet – und das zum Preis einer serienmäßig hergestellten Sonnenbrille.
DTC-Unternehmen wie die Rasierermarke Harrys und das Blumenliefergeschäft Bloom & Wild verzeichnen eine erheblich höhere Nachfrage nach ihren Produkten. Je mehr Verbraucher sich an Abonnementmodelle wie die der beiden Marken gewöhnen, desto unattraktiver erscheinen ähnliche Angebote von Einzelhandelsgiganten.
Dennoch: Der Direktverkauf birgt auch Risiken. Die Schuhmarke Mahabis setzte mit dem Verkauf smarter Wollpantoffeln zu 70 Pfund pro Stück 2017 insgesamt 25 Millionen Pfund um. Drei Jahre nach Einführung des smarten Hausschuhs konnte das Unternehmen 2,5 Millionen Pfund Gewinn verzeichnen. Anfang 2019 jedoch musste das Unternehmen Insolvenz anmelden: Steigende Marketingkosten und das durch Übernahmeangebote abgelenkte Management hatten die Ausgaben nicht mehr im Blick.
Nach der Übernahme durch einen neuen Eigentümer stellt Mahabis nun zwar wieder das selbe Produkt her und vertreibt seine Schuhe noch immer direkt, der Erfolgseinbruch hat jedoch bei vielen die Frage aufgeworfen, wie sinnvoll die DTC-Strategie für Marken wirklich ist.
Normalerweise beginnen DTC-Marken mit einem Geschäftsmodell und nicht mit einer Produktinnovation. Sie werden meist durch privates Beteiligungskapital finanziert und wachsen schnell – doch dieses Wachstum aufrecht zu erhalten, wenn die Nachfragespitzen zu hoch sind, das ist die wahre Herausforderung. Zudem führen die steigenden Kosten für Social-Media-Werbung – häufig der primäre Kanal für DTC-Marken – dazu, die Zukunftsfähigkeit des Konzepts in Frage zu stellen.
So wichtig diese Einwände sind: Meist sind sie weniger genereller denn operativer Natur, da sie die Grundlagen der Unternehmensführung (Verschuldung, Cashflow, Angebot und Nachfrage etc.) nicht berücksichtigen. Statt sich hinter Ausreden zu verstecken, sollten Marken jetzt handeln. Schließlich erwarten Kunden heute mehr denn je, direkt mit Marken interagieren zu können – darauf sollten Unternehmen sich einstellen.
Fakt ist: Die aktuelle Situation zwingt Marken wie Patek Philippe dazu, ihre Geschäftsstrategie grundlegend zu überdenken. Für viele Unternehmen ist das jedoch auch eine echte Chance: Verschleppte Digitalisierungsstrategien und ein gezielter Fokus auf die Bedürfnisse der Kunden ermöglichen es Marken, ihr Business auch über die Krise hinaus erfolgreicher zu machen.
Wir wollen, dass Unternehmen auch in der Krise so reibungslos wie möglich weiterarbeiten können. Deshalb haben wir verschiedene Angebote auf den Weg gebracht, um Marken in der aktuellen Situation zu unterstützen. Weitere Informationen gibt es hier.