
- 1 Ohne Wandel der Unternehmenskultur kein Experience Business
Ohne Wandel der Unternehmenskultur kein Experience Business
Als Rishi Dave vor drei Jahren mit der digitalen Transformation von Dun & Bradstreet beauftragt wurde, war dem neuen CMO bewusst, dass zur Umwandlung des 175 Jahre alten Traditionshauses in ein modernes, datengestütztes Unternehmen eine tiefgreifende Aktualisierung des Marketing-Repertoires erforderlich sein würde. Doch der Ausgangspunkt seiner Arbeit lag anderswo.
„Worauf wir uns als Erstes konzentrierten, war die Erneuerung unserer Kultur und unserer Marke“, erklärt Dave. „Investitionen in das digitale Erlebnis waren erst ab dem Zeitpunkt sinnvoll, an dem wir uns Klarheit über unsere Absichten verschafft und unsere Werte verortet hatten.“
Wo unmittelbare Eingriffe zur Verbesserung des damals verfügbaren digitalen Kundenerlebnisses erforderlich waren, wurden diese parallel zu den vorrangigen Aufgaben ausgeführt. Im Vordergrund stand die Etablierung einer neuen, deutlich stärker an Kundenpersönlichkeiten als an Produkten orientierten Vermarktungsstrategie und der geeigneten Kultur zur Stützung dieser Entwicklung. Der Aufbau dieser strategischen Basis zur Bereitstellung eines erfolgreichen digitalen Erlebnisses dauerte eineinhalb Jahre. Es war ein Risiko, sich so viel Zeit zu nehmen, aber der Erfolg gab ihnen Recht.
„Ganz gleich, wie hoch die Investitionen in neue Technologie und erstklassige Inhalte sind, greifen können sie erst dann, wenn die eigene Identität und die jeweiligen Ziele geklärt sind. In der Anlaufphase wurde rasch deutlich: Unsere Anstrengungen mussten in der Schaffung eines völlig neuen digitalen Kundenerlebnisses gipfeln“, so Dave, und er fügt an, dass die KPIs für das Kundenerlebnis, wie die Lead-Generierung des Unternehmens, nach der Neuausrichtung und dem Launch der neuen Kundenerlebnis-Plattform nach oben schnellten. „Wir waren in der Lage zu mehr als nur der Schaffung eines außergewöhnlichen Erlebnisses basierend auf geeigneter Technologie, frischen Daten und neuen Analysen. Wir hatten ein klares Bild davon, wen wir ansprechen wollten, und davon, auf welche Weise wir das zu schaffende Erlebnis differenzieren wollten.“
Ganz oben auf der Agenda
Die Neuausrichtung nach den Gesichtspunkten des digitalen Erlebnisses steht bei Unternehmen über alle Sektoren hinweg heute ganz oben auf der Agenda. „Ein besseres Kundenerlebnis ist heute die Grundlage für alles, und ‚besser‘ heißt in diesem Fall, das nahtlose digitale Erlebnis“, erläutert Norm Yustin, Executive Director von Russell Reynolds Associates. „Das ist heute unumstritten die höchste Priorität bis hinauf in die Chefetage.“
Bis vor Kurzem spielte sich die digitale Transformation in Marketing-Nischen ab. „Das waren nicht selten Projekte, die eher nebenher liefen, rund um junge Millennials, die experimentierten und einfach abwarteten, was sich daraus ergab“, so Yustin. „Mittlerweile gehen die Bestrebungen zur digitalen Transformation jedoch von der Chefetage aus. Das wirkt sich signifikant auf die Geschwindigkeit aus, mit der die Marketing-Strukturen in kultureller und struktureller Hinsicht auf den Anspruch reagieren müssen, den Kunden in den Mittelpunkt von allem zu rücken.“
Darüber hinaus erfordert die Neuausrichtung rund um das digitale Erlebnis „eine signifikante Transformation, nicht nur im Marketing, sondern im gesamten Unternehmen“, unterstreicht Debbie Qaqish, Principal Partner und CSO der Pedowitz Group und Autorin der Publikation „Rise of the Revenue Marketer“. „In den meisten Fällen nimmt das Marketing beim kundenorientierten Ansatz eine Vorreiterrolle ein, dann erst folgt der Rest des Unternehmens. Diese neue Denkweise im gesamten Unternehmen zu etablieren, stellt eine Herausforderung dar, insbesondere bei produktfokussierten Firmen und Technologieunternehmen.“
Der Schlüssel zur Erneuerung unter Marketing-Gesichtspunkten besteht nicht darin, sich bis an die Zähne mit Taktiken und Technologie zu bewaffnen. Ausschlaggebend ist die Investition in den erforderlichen strategischen und kulturellen Wandel, den das Unternehmen durchlaufen muss, um bei der Transformation vorne dabei zu sein. „Beim Aufbau einer Digital-First-Marketing-Struktur muss stets im Auge behalten werden, dass nicht die Implementierung einer bestimmten Technologie oder eines einzelnen Prozesses im Mittelpunkt steht“, so Melissa Puls, CMO beim milliardenschweren US-Software-Hersteller Progress. „Das zentrale Thema ist die interne Harmonisierung, die Einigung auf einen ganzheitlichen Ansatz, mit dem das Vorhaben gelingt.“
CMO.com sprach mit Marketing-Experten über ihre Best Practices zur Neuausrichtung und zur Bereitstellung eines attraktiven digitalen Erlebnisses.
Eine Frage von Glaube und Vernunft
Veränderungen fallen niemals leicht. Besonders in Marketing-Abteilungen, die in der Vergangenheit Erfolge erzielt haben, kann die Neuausrichtung rund um das digitale Erlebnis auf Ablehnung stoßen. „Das Risiko, sich auf den eigenen Lorbeeren auszuruhen und sich an Paradigmen vergangener Zeiten zu klammern, ist enorm“, so Paul Gottsegen, Senior Vice President, CMO und CSO bei Mindtree. „Tatsächlich waren einige der versiertesten Mitglieder unseres Teams unter jenen, die als Letzte auf den Zug der Transformation aufsprangen. Ihr System hatte offline einfach zu gut funktioniert.“
Es sei notwendig, jedem einzelnen die Zeit zum Experimentieren zuzugestehen, meint er, und auch Spielraum für gelegentliche Fehlschläge.
Bei Dun & Bradstreet gingen jene, die nicht in der Lage waren, sich mit der neuen Kultur und dem neuen Ansatz anzufreunden. Viele blieben und machten den Wandel gemeinsam mit dem Unternehmen durch. Doch Dave brachte auch eine Reihe neuer Mitarbeiter ins Haus. „Die Kultur spielt in der digitalen Welt eine enorm wichtige Rolle“, sagt er. „Zielführend ist eine Mentalität, die die Lust am Ausprobieren mit der Fähigkeit vereint, von nicht erfolgversprechenden Vorhaben abzulassen und jene zu skalieren, die Zukunft haben. Oder anders gesagt, der Leitsatz lautet schlicht und ergreifend:
Think Big
„Vor dem strategischen Entwurf des digitalen Erlebnisses ist es unerlässlich, die Marke zu definieren“, so Peggy Chen, CMO des Übersetzungs- und Content-Management-Unternehmens SDL. „Dazu ist es erforderlich, sich darüber klar zu werden, was für ein Unternehmen man eigentlich ist, was man anbietet und weshalb man gerade das anbietet.“
Beim Software-Hersteller Progress führten diese Überlegungen zu einer grundlegenden Neudefinition der Marke. Nötig wurde dies „um uns besser auf die Schaffung des digitalen Erlebnisses für unsere Kunden konzentrieren zu können, und letztlich, um den agilen Startups, die den Markt der digitalen Transformation überschwemmen, die Stirn bieten zu können“, so Puls.
Im Falle von Dun & Bradstreet bedeutete dies, dass das Marketing-Team zum genaueren Verständnis des erforderlichen Wandels Gespräche mit Mitarbeitern aller Funktionen rund um den Erdball führte. „Es war entscheidend, uns hinsichtlich des Modernisierungsbedarfs nicht lediglich auf die Meinung der Marketing-Mitarbeiter zu stützen“, erläutert Dave.
Kurzfristig Erfolge verzeichnen
Beim Lokalisierungsdienstleister Lionbridge konzentriert sich das Marketing auf ein besseres Verständnis des Kunden und der Customer Journey.
„Die Herausforderung besteht darin, ein Gleichgewicht zwischen den kurz- und langfristigen Auswirkungen zu erzielen“, erklärt Clint Poole. „Zahlreiche Maßnahmen zur digitalen Transformation, wie der Aufbau von Zielgruppen in den sozialen Netzwerken, erfordern lange Entwicklungszyklen, oder sie verfügen über Auswirkungen, die erst auf lange Sicht zum Tragen kommen, wie dies bei SEO-Strategien der Fall ist. Aus diesem Grund haben wir sämtliche Programme und Initiativen erfasst und ihre Ausführung so konzertiert, dass sich lang- und kurzfristige Ergebnisse die Waage hielten.“
Stufenweise Verbesserungen fördern die Dynamik, sie sichern anhaltende Unterstützung und die kontinuierliche Bereitstellung von Mitteln.
Funktionale Brücken bauen
CMOs, auf deren Schulter die Neuausrichtung rund um das digitale Erlebnis lastet, sind auch gut darin beraten, verstärkt strategische Allianzen mit der Chefetage aufbauen.
„Üblicherweise verläuft der Wandel in Unternehmen auf sehr linearen Bahnen“, so Yustin von Russell Reynolds.
Bei Unternehmen, die auf das digitale Erlebnis setzen, sollte die Unternehmensstruktur deutlich konzentrischer ausgestaltet werden, wobei sich CMO, CFO und COO (bzw. CIO) rund um den Kunden positionieren, rät Yustin und fügt an: „CMOs können es sich nicht länger leisten, in einer Blase zu leben.“ Sie müssen sich darüber Gedanken machen, wie sich ihre digitalen Transformationen finanzieren und operationalisieren lassen, und das erfordert die Zusammenarbeit mit der Chefetage.
Auf gemeinsame Ziele hinarbeiten
Führungskräfte müssen sich neu auf Kunden ausrichten, und eben dies gilt auch für die Mitglieder des Marketing-Teams. „Der wichtigste Erfolgsfaktor ist es, sämtliche Marketing-Disziplinen im Sinne des Kunden gleichzuschalten“, so Dave.
Bei Dun & Bradstreet hat er den Ansatz „Tiger Team“ eingeführt, ein ursprünglich von der amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA entwickeltes Konzept zur Problemlösung und Innovation durch die Zusammenarbeit zwischen Technikspezialisten. „In erster Linie wird über das Kundenerlebnis nachgedacht, im nächsten Schritt geht es darum, wie wir das Konzept gemeinsam umsetzen“, so Dave, und er betont, dass das gesamte Team für eine Reihe von Leistungsparametern verantwortlich sei.
Zusammenarbeit mit weiteren Bereichen mit Kundenkontakt kann den Einsatz sogar noch weiter tragen. Bei InContact gründet CMO Randy Littleson funktionsübergreifende Teams für Digital-Experience-Projekte. Mit dabei sind stets Mitglieder aus den Bereichen Marketing, Vertrieb und Kundendienst.
In diesem Sinne „ist eine unserer Best Practices die direkte Zusammenarbeit mit unseren kundenseitigen Vertriebsprofis. Dies ist ein wertvoller Beitrag zum Verständnis der Customer Journey und zum Design des bestmöglichen digitalen Erlebnisses“, so Amede Hungerford, CMO beim Daten-Management-Unternehmen Dell Boomi.
Begeisterung für Technologie wecken
Zur Bereitstellung differenzierter digitaler Erlebnisse werden Marketing-Unternehmen in den nächsten Jahren eine Menge neuer Technologien nutzen müssen. Dazu zählen unter anderem das Internet der Dinge, maschinelles Lernen, Robotik und Biometrie. „Diese neuen Technologien werden Geschäftsabläufe neu definieren, vor allem aber werden sie die Art neu definieren, auf die Unternehmen mit ihren Kunden interagieren“, so Merijn te Booij, CMO bei Genesys.
Die CMOs müssen sich gute Technologiekenntnisse aneignen. „Das muss nicht so weit gehen, dass man selbst programmieren kann“, so Yustin, „aber am Puls der Technologie wird man allemal sein müssen.“
Noch wichtiger: Auch die Mitglieder des Marketing-Teams müssen zu Technologen werden. „Beim ersten Meeting vor drei Jahren habe ich dem gesamten Team vermittelt, dass jeder von ihnen zum Marketing-Technologen werden müsse,“ so Gottsegen von Mindtree. „Bis zu diesem Zeitpunkt war das Thema Digital Marketing getrost auf einige wenige Spezialisten abgeschoben worden. Doch das ist die Denkweise von vorgestern.“
Gottsegen gab jedem Mitarbeiter die Gelegenheit, eine Spezialisierung, wie beispielsweise SEO oder Automatisierung, zu wählen. Dennoch blieb es keinem erspart, sich einen genauen Überblick über das gesamte Marketing-Repertoire zur Einwicklung und Durchführung von integrierten Kampagnen zu verschaffen.
Jahrespläne durch agile Planung ersetzen
CMOs werden ihren Führungs-Teams auch weiterhin Jahrespläne bereitstellen müssen, doch die Transformation des digitalen Erlebnisses erfordert einen deutlich agileren Ansatz. Marketing-Experten müssen willens und in der Lage sein, aus dem Stand in jede Richtung aktiv zu werden, um jene Arten von digitalen Erlebnissen liefern zu können, die der Kunde erwartet. Als Amazon Ende letzten Jahres die Eröffnung von kassenlosen Supermärkten ankündigte, war für den Einzelhandel der Moment gekommen, sich über die Zukunft Gedanken zu machen, so Yustin. „Das ist nicht gerade eine Angelegenheit, die man nächstes Jahr in Angriff nehmen kann.“
Beim Finanzdienstleister Voya hat Karen Eisenbach die neue Rolle des Chief Business Marketing Officers übernommen und arbeitet eng mit dem CDO zusammen. Gemeinsam beschäftigen sie sich mit der Schaffung einer agileren, reaktionsfähigeren und offeneren Marketing-Umgebung. „Im Mittelpunkt steht die Transformation der Art und Weise, wie wir interagieren. Wir arbeiten gezielt gegen Hierarchien und Silos an, angestrebt wird eine durchgängige Zusammenarbeit im Hinblick auf die Customer Journey“, so Eisenbach.
Vollständige Integration
Neue Technologien werden bei der Schaffung wirkungsvoller digitaler Erlebnisse den Ausschlag geben. Systeme, die zu Datensilos werden, stellen hingegen ein Hindernis für die Transformation im Marketing dar. „Digital-Marketing-Kampagnen müssen so aufgebaut sein, dass sie sich ausgesprochen leicht auf der Ebene der Omni-Channel-Journey verwalten lassen, nicht zuletzt deshalb, weil der Großteil der Kunden auf mehreren digitalen Kanälen aktiv ist“, so te Booij von Genesys. „Verknüpfte Kampagnen, durch die sich sämtliche Kundeninteraktionen mühelos lenken lassen, sind nachhaltiger und hinsichtlich der Geschäftsergebnisse deutlich vielversprechender.“
Bei Mindtree hat man diese Erkenntnis durch die komplette Integration und Echtzeit-Synchronisation der Vertriebs- und Marketing-Systeme umgesetzt. „Dies ermöglicht uns die Gestaltung und Analyse von Kundenerlebnissen aus allen Perspektiven“, so Gottsegen.
Testen, lernen, skalieren, wiederholen
Laut Hungerford ist die ausschlaggebende Wende auf dem Weg zu innovativen Lösungen für digitale Erlebnisse in jenem Moment eingetreten, in dem das Team die Angst vor den Auswirkungen in Kauf genommener Risiken überwand. „Ich bestärkte das Team darin, einen Schritt zurückzutreten und ein tiefes Verständnis für die Customer Journey hinter dem Kauf zu entwickeln. Auf diese Weise konnten wir ein optimales Erlebnis erzielen, und dies schlug sich in Interaktionen und Konversionen nieder“, so Hungerford.
Der Einzelhändler und Werbepionier John Wannamaker sagte einmal, er wisse, dass die Hälfte des Geldes, das er für Werbung ausgebe, verschwendet sei. Leider wisse er aber nicht, welche Hälfte. Heute können Marketer mit Zugriff auf neue Daten und Analyse-Tools dies nicht mehr von sich behaupten. „Die großen digitalen Leader messen Effektivität per Knopfdruck“, so Yustin. „Sie nutzen A/B-Tests. Ein äußerst attraktives Werkzeug.“
Ausschlaggebend ist die Schaffung einer Kultur, die bei Experimenten auf Wiederholbarkeit und Messbarkeit achtet. Bei Dun & Bradstreet stand man der geplanten digitalen Transformation mit deutlicher Skepsis gegenüber. Der Ansatz „Testen und lernen“ zerstreute die Bedenken. „Wichtig war es, Versuche auf kleiner Ebene durchzuführen, und all das, was sich als tauglich herausgestellt hatte, zu skalieren“, so Dave. „Nachdem wir Erfolge erzielt hatten, nahmen wir uns ausreichend Zeit, das betreffende Bewusstsein innerhalb des Unternehmens zu schaffen und zu zeigen, dass die neuen Ansätze wirksam waren. Dann waren wir bereit zu skalieren. Die wichtigste Erkenntnis war für mich der Stellenwert von Daten und Analysen, denn nur so ist gewährleistet, dass die Entscheidungsfindung auf Daten basiert und die Auswirkungen der durchgeführten Veränderungen messbar sind.“
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